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Kirchengericht:Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
Entscheidungsform:Beschluss
Datum:30.09.2011
Aktenzeichen:VG 04/11
Rechtsgrundlage:§ 97 Abs. 2 KVwGG, § 9 Abs. 2 Nr. 9 KVwGG, § 14 KVwGG, § 19 Abs. 2 KVwGG, § 40 VVZG-EKD, § 4 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Württ. PfarrerG, Art. 137 Abs. 3 WRV, Art. 12 GG
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Altersgrenze, Ermessensreduzierung auf Null, Glaubhaftmachung, Prozesskostenhilfe, Rechtsmittelfrist, Verwerfungskompetenz, Vorbereitungsdienst, Wiederaufgreifen in weiterem Sinne, Zweitbescheid, einstweilige Anordnung, wiederholende Verfügung

Leitsatz

und Beschluss des Verwaltungsgerichts
der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
vom 30. September 2011

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Leitsatz:

  1. Zur Abgrenzung eines Zweitbescheids von einer wiederholenden Verfügung.
  2. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung spricht nicht generell gegen die Einstufung eines Schreibens als Verwaltungsakt; maßgeblich ist insoweit der Inhalt und nicht die Form.
  3. Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in weiterem Sinne.
  4. Ein Antragsteller, der in einem Eilverfahren eine im Ermessen des Antragsgegners stehende Entscheidung erstrebt, dürfte zwar nicht gehalten sein, eine Ermessensreduzierung auf Null glaubhaft zu machen, wohl aber eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Ermessen fehlerfrei nur zu seinen Gunsten ausgeübt werden könnte.
  5. Auch im Falle einer von der Behörde erkannten Rechtswidrigkeit eines bestandskräftigen Bescheids ist diese nicht grundsätzlich verpflichtet, ein Verfahren im Rahmen einer Ermessensentscheidung wiederaufzugreifen.
  6. Das Kirchliche Verwaltungsgericht hat auch dann, wenn nach seiner Überzeugung eine Rechtsvorschrift nicht mit höherrangigem Recht in Einklang steht, keine Verwerfungskompetenz.
  7. Die Altersgrenze für die Aufnahme in den pfarramtlichen Vorbereitungsdient verstößt nicht gegen Art. 12 GG in der Ausprägung der freien Wahl der Ausbildungsstätte; die Pfarrerausbildung gehört zu den originär eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften nach Art. 137 Abs. 3 WRV.
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In der Verwaltungsrechtssache
.....
– Antragsteller –
prozessbevollmächtigt:
.....
gegen
Die Evangelische Landeskirche in Württemberg,
vertreten durch den Evang. Oberkirchenrat,
dieser verteten durch die Direktorin im Oberkirchenrat,
Frau Oberkirchenrätin Rupp,
Gänsheidestraße 4, 70184 Stuttgart
– Antragsgegnerin –
wegen
Zulassung zum kirchlichen Vorbereitungsdienst;
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat das Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg durch
den Richter am Verwaltungsgericht a. D. Dipl.-Theol. Rainer E. Müller als Vorsitzenden
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dieter Eiche als Mitglied mit der Befähigung zum Richteramt
die Dekanin Wiebke Wähling als ordiniertes Mitglied
den Pfarrer Klaus Dieterle als ordiniertes Mitglied
den Rechtsanwalt Paul Eckert als nichtordiniertes Mitglied
am 30. September 2011 beschlossen:
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Tenor:

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
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Gründe:

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Rechtsverfolgung, hier also der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, nicht die nach § 97 Abs. 2 KVwGG i. V. m. § 114 ZPO erforderlichen Erfolgsaussichten besitzt. Zur Begründung wird auf die folgenden Ausführungen verwiesen.
Der Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller ab dem 15. September 2011 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig in den kirchlichen Vorbereitungsdienst aufzunehmen, ist nach § 14 Abs. 1 KVwGG zulässig aber unbegründet.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (vgl. § 14 Abs. 2 KVwGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dies ist dem Antragsteller bereits im Hinblick auf einen Anordnungsanspruch nicht gelungen.
I.
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Württ. Pfarrergesetz – PfarrG – kann in den Vorbereitungsdienst nach § 2 Abs. 4 PfarrG aufgenommen werden, wer das 32. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Zwar hat der im Jahre 1976 geborene Antragsteller diese Altersgrenze bereits überschritten, vom Erfordernis u. a. des Absatzes 1 Nr. 4 kann aber in Anwendung des § 4 Abs. 2 PfarrG abgesehen werden. Eine unmittelbare Berufung auf diese Vorschriften ist dem Antragsteller jedoch bereits deshalb nicht eröffnet, weil über seinen Antrag auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst nach Überschreiten der Altersgrenze bereits durch Bescheid des Oberkirchenrats vom 23. März 2010 bestandskräftig und damit für die Beteiligten bindend ablehnend entschieden worden ist. Damit ist aber auch die im genannten Bescheid getroffene Ermessenentscheidung auf der Grundlage des § 4 Abs. 2 PfarrG einer Überprüfung durch das Gericht entzogen.
Bei dem Schreiben des Oberkirchenrates vom 23. März 2010 handelt es sich trotz Fehlens einer Rechtsmittelbelehrung um einen Bescheid, nämlich einen Verwaltungsakt nach der schon vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrens- und -zustellungsgesetzes der EKD - VVZG-EKD - sinngemäß angewendeten Definition des § 22 VVZG-EKD. Dies wird auch von Antragstellerseite nicht in Frage gestellt und bedarf deshalb keiner weiteren Vertiefung. Dieser Bescheid vom 23. März 2010 dürfte dem Antragsteller nach Aktenlage bereits am folgenden Tag, dem 24. März 2010, vorgelegen haben. Hierfür spricht die E-Mail des Antragstellers an den Oberkirchenrat vom selben Tage, in der er Verständnis für die Entscheidung äußerte und erklärte sie zu akzeptieren. Zwar wird darin auch auf Telefonate verwiesen, das letzte dieser Gespräche hatte jedoch am 9. März 2010 stattgefunden, so dass der zeitliche Zusammenhang mit dem Bescheid vom 23. März 2010 näher liegt als derjenige mit den genannten Telefongesprächen. Letztendlich kann aber die Frage, ob der Antragsteller den Bescheid tatsächlich bereits am 24. März 2010 erhalten hat, unbeantwortet bleiben. Da der Antragsteller den Zugang des Bescheids als solchen nicht in Frage stellt, lag ihm dieser nämlich spätestens am 23. Juli 2010 vor; unter diesem Datum richtete der Antragsteller ein weiteres Schreiben an den Oberkirchenrat, in dem er erneut um eine Prüfung der Möglichkeit bat, ihn trotz Überschreitens der Altersgrenze in den Vikardienst zu übernehmen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt begann damit die Rechtsmittelfrist zu laufen, die mangels einer dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung nach § 19 Abs. 2 KVwGG ein Jahr seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung betrug. Die vom Antragsteller aufgeworfene Problematik einer - rückwirkenden - Anwendung des erst zum 01. Januar 2011 in Kraft getretenen § 30 VVZG-EKD stellt sich angesichts des bereits zuvor gültigen und hier anzuwendenden § 19 Abs. 2 KVwGG nicht. Die Rechtsbehelfsfrist lief damit spätestens am 23. Juli 2011 ab. Da nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids noch gültigen § 28 Abs. 1 Nr. 3 KVwGG (nunmehr § 14 Nr. 2 des Kirchlichen Gesetzes zur Ausführung und Ergänzung des Verwaltungsverfahrens- und -zustellungsgesetzes der EKD - AEG VVZG-EKD -) vorliegend kein Widerspruchsverfahren durchzuführen war, da es um die Rechtsgültigkeit einer Entscheidung des Oberkirchenrats ging, hätte also bis dahin Klage beim Verwaltungsgericht erhoben werden müssen; solches ist jedoch erst am 4. August 2011 und damit nach Fristablauf geschehen.
Das Gericht vermag dem Antragsteller nicht in der Annahme zu folgen, das Schreiben des Oberkirchenrats vom 20. September 2010 stelle einen sogenannten Zweitbescheid dar, also eine erneute und eigenständige Entscheidung im Sinne eines Verwaltungsaktes über die Aufnahme des Antragstellers in den Vorbereitungsdienst unter Anwendung des § 4 Abs. 2 PfarrG. Vielmehr handelt es sich bei dem genannten Schreiben nach Auffassung des Gerichts um eine wiederholende Verfügung, mithin eine Verlautbarung ohne materiellen Regelungscharakter, in der lediglich auf eine bereits zuvor getroffene Entscheidung verwiesen wird. Die gegenteilige Auffassung des Antragstellers vermag das Gericht nicht zu überzeugen.
So bildet der Umstand, dass auch der zweifelsfrei Verwaltungsaktcharakter besitzende Bescheid vom 23. März 2010 nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, kein Indiz für das Vorliegen eines Zweitbescheids; allenfalls kann daraus entnommen werden, dass das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung im konkreten Fall nicht gegen die Einstufung des Schreibens vom 20. September 2010 als Verfügung mit regelndem Inhalt spricht. Auch der Zeitraum zwischen dem Schreiben des Antragstellers vom 23. Juli 2010 und dem Antwortschreiben des Oberkirchenrats vom 20. September 2010 sowie die Zwischennachricht mit dem Hinweis auf eine noch durchzuführende Beratung innerhalb des Oberkirchenrats sind keine tragfähigen Indizien für die Annahme eines Zweitbescheids. Denn der Umstand, dass auf das Schreiben des Antragstellers vom 23. Juli 2010 seitens des Oberkirchenrats keine umgehende Reaktion erfolgte, war nach Aktenlage nicht zuletzt auch dem Umstand geschuldet, dass der Antragsteller in seinem Schreiben vom 23. Juli 2010 nicht lediglich – erneut – den Antrag auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst gestellt, sondern u. a. dargelegt hatte, er wolle von einem Gesprächs- bzw. Hilfsangebot, das seine Perspektive nach Ablegung des Examens betraf, Gebrauch machen; ferner hatte er auch generell die Frage einer weiteren beruflichen Tätigkeit innerhalb und seines Nutzens dabei für die Evangelische Landeskirche problematisiert. Diese außerhalb des schlichten Begehrens auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst liegenden Aspekte begründeten ohne weiteres einen Besprechungs- bzw. Beratungsbedarf beim Oberkirchenrat mit der Folge einer gewissen zeitlichen Verzögerung der Antwort auf das hier maßgebliche Schreiben des Antragstellers.
Letztendlich entscheidend ist aber der Inhalt des Schreibens vom 20. September 2010. Dort ist zwar von einer intensiven Beschäftigung mit dem Schreiben des Antragstellers die Rede, eine solche Beschäftigung war jedoch - wie dargelegt - unabhängig von der Entscheidung über den Antrag des Antragstellers auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst erforderlich. So wird es auch in dem Schreiben des Oberkirchenrats vom 20. September 2010 dargestellt; dort wird zwar dem Antragsteller ein erneutes Gesprächsangebot unterbreitet, ebenso wird aber mit der Formulierung, dies ändere grundsätzlich nichts am Bescheid vom 23. März 2010 hinsichtlich der Entscheidung, den Antragsteller aufgrund der überschrittenen Altersgrenze nicht in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen, klargestellt, dass an dieser Entscheidung vom März 2010 festgehalten wird. Dementsprechend findet sich in diesem Antwortschreiben auch keinerlei Hinweis darauf, dass eine erneute Beratung und Entscheidung über die Aufnahme des Antragstellers in den Vorbereitungsdienst unter Absehen von der Altersgrenze stattgefunden hätte, was üblicherweise mit einer Wendung, wie etwa „auch nach nochmaliger Befassung mit der Sache bleibt es bei der bisherigen Entscheidung“, ausgedrückt worden wäre. Stattdessen erfolgte vorliegend schlicht der Hinweis auf die bereits getroffene Entscheidung.
Handelt es sich damit bei dem Schreiben des Oberkirchenrats vom 20. September 2010 - soweit es um die ausschließliche Anwendung des § 4 PfarrG geht - nicht um einen Verwaltungsakt, stand dem Antragsteller hiergegen auch nicht die Möglichkeit einer Verpflichtungsklage offen. Damit ist insoweit auch kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht oder ansonsten ersichtlich.
II.
Zutreffend weist der Antragsteller allerdings darauf hin, dass das Schreiben des Oberkirchenrats vom 20. September 2010 aber jedenfalls insoweit einen Verwaltungsakt, eine Regelung mit Außenwirkung nämlich, darstellt, als damit inzident ein Wiederaufgreifen des Verfahrens über seinen Antrag auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst abgelehnt wurde.
Freilich räumt der Antragsteller auch ein, dass keine der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Wiederaufgreifens, wie sie nunmehr in § 40 VVZG-EKD für den kirchlichen Bereich - entsprechend dem schon lange gültigen § 51 VwVfG für den staatlichen Bereich - kodifiziert sind, im Falle des Antragstellers vorliegt. Insbesondere ist seit Ergehen des Bescheids vom 23. März 2010 weder bis zum Zeitpunkt der Ablehnung des Wiederaufgreifens im September 2010 noch bis heute eine Änderung der Sach- und Rechtlage zugunsten des Antragstellers eingetreten. Vielmehr liegt der Sachverhalt so, dass sich das Überschreiten der Altersgrenze mit fortschreitender Zeit eher zunehmend zulasten eines Bewerbers auswirkt.
In der Rechtsprechung der staatlichen Verwaltungsgerichte ist allerdings seit längerem anerkannt, dass auch außerhalb der engen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 51 VwVfG die Möglichkeit der Stellung eines Wiederaufnahmeantrags besteht, über den die Behörde dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat („Wiederaufgreifen in weiterem Sinne“, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 10.12.2001 – 9 B 86/01 – NVwZ 2002, 482 f.; Meyer in Knack/Henneke, VwVfG, RdNrn. 15 ff. zu § 51). Diese Auffassung dürfte auch den von kirchlichen Verwaltungsbehörden und kirchlichen Verwaltungsgerichten zu beachtenden Rechtsgrundsätzen nicht widersprechen, weshalb nichts gegen eine Übertragbarkeit auf die kirchliche Rechtspraxis sprechen dürfte.
Ist das Schreiben des Oberkirchenrats vom 20. September 2010 mithin als Verwaltungsakt im aufgezeigten Sinne zu beurteilen, so ist die am 4. August 2011 beim Verwaltungsgericht eingegangene Klage – sieht man in ihr auch ein Begehren auf Wiederaufgreifen des Verfahrens – fristgerecht eingelegt worden. Denn auch vorliegend lief mangels Rechtsbehelfsbelehrung eine einjährige Klagefrist, eines Wiederspruchs gegen die Entscheidung des Oberkirchenrats bedurfte es auch hier nicht.
Der Erfolg eines Rechtsmittels in der Hauptsache, also der Klage, mit dem der Antragsteller - wie hier unterstellt wird - im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens seine Aufnahme in den Vorbereitungsdienst erreichen möchte, hat eine doppelte Voraussetzung: In einem ersten Schritt müsste der Antragsteller erfolgreich einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens geltend machen können und in einem zweiten Schritt müsste der Antragsteller – im wiederaufgegriffenen Verfahren – einen Anspruch auf Abänderung der bisher getroffenen Entscheidung, also auf Zulassung zum Vorbereitungsdienst, besitzen. Da sowohl die Wiederaufgreifens-Entscheidung als auch die Entscheidung über die Aufnahme des Antragstellers in den Vorbereitungsdienst, die wegen Überschreitens der Altersgrenze nur nach § 4 Abs. 2 PfarrG möglich wäre, Ermessensentscheidungen darstellen, müsste das Gericht feststellen können, dass das Ermessen des Oberkirchenrats sowohl im Rahmen der Wiederaufgreifens-Entscheidung, wie auch in dem genannten zweiten Schritt auf Null reduziert wäre, alles andere als Entscheidungen im Sinne des vom Antragsteller geltend gemachten Anspruchs also rechtswidrig wären. Ansonsten - d.h. wenn die zu überprüfenden Entscheidungen zwar an Ermessensfehlern litten, gleichwohl aber kein Fall einer Ermessensreduzierung auf Null vorläge - käme allenfalls eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung in Betracht, wobei insoweit der Inhalt der zu treffenden Entscheidungen offen wäre.
Für das vorliegende Eilverfahren hat diese im Klageverfahren zu beachtende Konstellation zur Folge, dass der Antragsteller, um sein Antragsziel zu erreichen, wohl nicht eine Ermessensreduzierung auf Null im dargelegten Sinne glaubhaft machen müsste, wohl aber eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Ermessen fehlerfrei nur zu seinen Gunsten ausgeübt werden könnte. Es müssten also gewichtige Anhaltspunkte für einen der Behörde unterlaufenen Ermessensfehlgebrauch dargetan werden. So verhält es sich vorliegend freilich nicht.
( 1 ) Grundsätzlich handelt eine Behörde nicht ermessenswidrig, wenn sie sich bei einer Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in weiterem Sinne auf die Bestandskraft des ergangenen Verwaltungsakts beruft (Meyer, a.a.O., RdNr. 17 zu § 51). Dabei schließt auch die von der Behörde gewonnene Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des eigenen Verwaltungsakts eine Berufung auf die Bestandkraft nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil v. 19.10.1967 - III C 123.66 -, BVerwGE 28, 122; BVerwG, Urteil v. 30.01.1974 - VIII C 20.72 -, BVerwGE 44, 333; BVerwG, Urteil vom 23.02.2004 - 5 B 104.03 -, juris). Es gilt, dass der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall prinzipiell kein größeres Gewicht zukommen soll als der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine ausdrücklich andere gesetzliche Wertung zu entnehmen ist (BVerwG, Urteil v. 07.07.2004 - 6 C 24.03 -, BVerwGE 121, 226). Ein Wiederaufgreifens-Antrag zu Gunsten des Betroffenen ohne Änderung der Sach- und Rechtslage kann dabei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zum Erfolg führen (Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.05.2002 - 1 WB 7.02 -, juris). Allerdings kann und muss ggf. bei der Ermessensausübung die Schwere des Fehlers, der zu einer eventuellen Rechtswidrigkeit geführt hat, berücksichtigt werden. So kann in einem Fall, in dem das Fortbestehen des Verwaltungsaktes schlechthin unerträglich wäre, sogar eine Ermessensreduzierung auf Null gegeben sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 31.01.1989 - 9 S 1141/88 -, DVBl. 1989, 884).
Fraglich erscheint bereits, ob der Bescheid vom 23. März 2010 überhaupt rechtswidrig war. Aus dem Bescheid ergibt sich jedenfalls, dass sich der Oberkirchenrat der Möglichkeit, von der Altersgrenze abzusehen, bewusst war und sich nicht strikt an diese Grenze gebunden fühlte. Ob die getroffene Entscheidung an einem Ermessensdefizit leidet, weil andere Gesichtspunkte für ein Absehen von der Altersgrenze als die wissenschaftliche Tätigkeit nach abgeschlossener Erster Evang.-theol. Dienstprüfung nicht ausdrücklich genannt wurden, kann dahin stehen, denn jedenfalls ist nicht erkennbar, dass die ablehnende Entscheidung grob rechtswidrig wäre und ein Festhalten daran trotz Bestandskraft unter Gerechtigkeitsaspekten unerträglich wäre. Im Übrigen ist hervorzuheben, dass der Hinweis auf die genannte wissenschaftliche Tätigkeit nach dem Wortlaut des Bescheids offensichtlich beispielhaft erfolgt ist. Denn es wurde im Bescheid zunächst ausgeführt, dass nur in besonders begründeten Fällen dem Kollegium eine Ausnahmeregelung empfohlen werden könne, woran sich unmittelbar der Satz anschließt, „dazu gehört vorrangig eine wissenschaftliche Tätigkeit ...“. Bereits aus der Formulierung „dazu gehört vorrangig“ wird aber deutlich, dass sich der Oberkirchenrat bewusst war, dass andere Fallgestaltungen eine Überschreitung der Altersgrenze nicht von vornherein ausschließen.
Weiter ist im Hinblick auf den Vortrag des Antragstellers darauf hinzuweisen, dass die ablehnende Entscheidung vom 23. März 2010 nicht im Widerspruch zu Zusicherungen oder sonstigen zugunsten des Antragstellers vom Oberkirchenrat geschaffener Vertrauenstatbestände steht. Tatsächlich hatte der Oberkirchenrat gegenüber dem Antragsteller allein insoweit einen Vertrauenstatbestand auf Übernahme in den Vorbereitungsdienst geschaffen, als dies den Antritt des Dienstes im September 2008 anging. Dies folgt aus der E-Mail des Oberkirchenrats vom 19. Juli 2007 an den Antragsteller, wonach genehmigt werde, dass der Antragsteller – auch wenn er bereits im April 2008 32 Jahre alt werde – erst zum September 2008 in den Vorbereitungsdienst komme. In einer weiteren E-Mail vom 4. Juni 2008 wurde ihm dann noch verbindlich mitgeteilt, dass er - aber auch dies betraf nur den Dienstantritt im Herbst 2008 - für das Vikariat in B. eingeteilt sei. Tatsächlich konnte der Antragsteller den Vorbereitungsdienst zu diesem Zeitpunkt aber nicht antreten, weil er die Erste Evang.-theol. Dienstprüfung nicht bestanden hatte.
Den genannten Mitteilungen des Oberkirchenrats kommt danach keine Rechtswirkung zu, die über die Ermöglichung der Überschreitung der Altersgrenze um ca. 5 Monate verbunden mit dem Dienstantritt zum September 2008 hinausging. Insbesondere kann den dem Antragsteller zugegangenen Mitteilungen des Oberkirchenrats nicht entnommen werden, dass in seinem Fall generell von der Einhaltung der Altersgrenze abgesehen wird. Für eine gegenteilige Annahme gibt der Inhalt der E-Mail vom 19. Juli 2007 objektiv nichts her. In anderer Weise wurde dies in der Folge wohl auch vom Antragsteller nicht verstanden, denn ansonsten hätte es seines Schreibens an den Oberkirchenrat vom 20. März 2010 nicht bedurft, mit dem er erneut einen Antrag auf Erlassung der Altersgrenze für die Aufnahme in das Vikariat stellte.
Auch die Schreiben des Oberkirchenrats an die „Pfarramtsanwärter und -anwärterinnen“ vom 10. März 2009 und das Schreiben an die „Kandidatinnen und Kandidaten der I. Evang.-theol. Dienstprüfung Sommersemester 2010“ vom 11. November 2009 geben für die Schaffung der vom Antragsteller beanspruchten Vertrauensgrundlage nichts her. Bei beiden Schreiben handelte es sich zum einen um Rundschreiben, die gleichlautend an den genannten Personenkreis verschickt wurden, zum anderen dienten beide lediglich der Information über den weiteren Ablauf des Verfahrens bis zu einer eventuellen Übernahme in den Vorbereitungsdienst; keinesfalls sind den Schreiben aber rechtsverbindliche Willenserklärungen - etwa über die Zulassung trotz Überschreitens der Altersgrenze - zu entnehmen. Zwar lautete der Betreff im Schreiben vom 10. März 2009 „Übernahme in den Vorbereitungsdienst zum 15. September 2009“ und im Schreiben vom 11. November 2009 „Aufnahme in den Vorbereitungsdienst – Aufnahmegespräch für die Absolventen des Sommersemesters 2010“ beide Schreiben machen aber deutlich, dass damit noch keine Entscheidung über die Aufnahme des jeweiligen Empfängers in den Vorbereitungsdienst getroffen wurde. So heißt es im Schreiben vom 10. März 2009 auch ausdrücklich, „vorbehaltlich der Zusage für die Übernahme in den Vorbereitungsdienst zum 15. September 2009“ beginne nun die konkrete Planung, im Schreiben vom 11. November 2009 wird entsprechend auf ein noch durchzuführendes Aufnahmegespräch hingewiesen. Im Übrigen kann auch im Zusammenhang mit diesen beiden Schreiben auf den erst in der Folgezeit, nämlich unter dem Datum vom 20. März 2010, gestellten Antrag des Antragstellers auf Absehen von der Altersgrenze hingewiesen werden, der zeigt, dass der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt selbst der Auffassung war, es bedürfe für seine Übernahme in den Vorbereitungsdienst noch einer entsprechenden Entscheidung des Oberkirchenrats. Der Antragsteller gab damit zu erkennen, dass er – jedenfalls damals – den rein informativen Charakter der beiden erwähnten Rundschreiben zutreffend erkannt hatte.
Auch auf den vom Antragsteller behaupteten Vertrauenstatbestand oder eine Zusicherung vermag er sich damit nicht zu berufen, weshalb auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt der hier diskutierte Wiederaufnahmeanspruch wegen Rechtswidrigkeit der ablehnenden Entscheidung nicht festzustellen ist.
Anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Vortrag des Antragstellers zur Vereinbarkeit der Altersgrenze des § 4 Abs. 1 Nr. 4 PfarrG mit Art. 12 GG. Abgesehen davon, dass das Kirchliche Verwaltungsgericht nach § 9 Abs. 2 Nr. 9 KVwGG nicht berechtigt ist, über die Gültigkeit kirchlicher Rechtsvorschriften zu entscheiden, also insoweit keine Verwerfungskompetenz besitzt, sondern allenfalls den Weg über § 9 Abs. 3 KVwGG beschreiten könnte, ist bereits kein Verstoß gegen das bezeichnete und vom Staat gewährte Grundrecht auf Berufsfreiheit – hier in der Form der freien Wahl der Ausbildungsstätte – zu erkennen.
Bei der Frage, ob und inwieweit Art. 12 GG im Verhältnis zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin Wirksamkeit entfalten kann, ist der Umstand zu beachten, dass die Grundrechte zunächst einmal Schutzrechte des Bürgers gegen die staatliche Gewalt darstellen, nicht aber gegen Mitbürger, Familienangehörige, Arbeitgeber oder sonstige nichtstaatliche Teilnehmer am Rechtsleben (vgl. Scholz in Maunz-Dürig, GG, RdNr. 441 ff. zu Art. 12). Religionsgemeinschaften sind selbst Träger der grundrechtlich gewährten Religionsfreiheit aus Art. 4 GG und können sich auch im Übrigen – nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG – auf den Grundrechtskatalog der staatlichen Verfassung stützen. Als Grundrechtsverpflichtete kommen Sie aufgrund der primären Staatsgerichtetheit der Grundrechte grundsätzlich nicht in Betracht. Deshalb sind die Kirchen, solange sie nur Kraft ihrer nicht vom Staat verliehenen Kirchengewalt tätig werden, an Grundrechte nicht gebunden (vgl. von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Auflage S. 114). Anderes gilt nur dort, wo Religionsgemeinschaften, die den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 137 Abs. 5 WRV) aufweisen, von den damit verbundenen öffentlich-rechtlichen Befugnissen Gebrauch machen (Jeand‘Heur/Korioth, a.a.O., RdNr. 215). Um den letztgenannten Bereich, in dem von einer Religionsgemeinschaft lediglich vom Staat abgeleitete – verliehene – Befugnisse wahrgenommen werden, geht es im Falle der Zulassung zum Vorbereitungsdienst nicht. Zwar mag dieser Dienst in manchen Facetten dem staatlichen Referendarsdienst ähnlich sein, dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass es sich bei der Erziehung und Ausbildung der Geistlichen um eine originär eigene Angelegenheit der Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV handelt (vgl. von Campenhausen/De Wall, a.a.O., S. 105; Korioth in Maunz-Dürig, a.a.O., RdNrn. 26 ff., 32 zu Art. 140 GG, Art. 137 WRV).
Schon aufgrund dieser grundsätzlichen Erwägungen bleibt dem Antragsteller eine Berufung auf Art. 12 GG verschlossen.
Nur ergänzend sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn man vorliegend Art. 12 GG in der Ausprägung der freien Wahl der Ausbildungsstätte prinzipiell für anwendbar und die Antragsgegnerin bei Anwendung des Art. 12 GG als mit dem Staat auf einer Stufe stehend betrachtete, könnte dieses Grundrecht hier wohl keine Wirkung entfalten. Denn Art. 12 GG griffe in diesem Fall nur dann ein, wenn es sich beim Vikariat um eine „allgemeine Ausbildungsstätte“ handelte, der angestrebte Abschluss also auch Voraussetzung für andere Berufstätigkeiten als den Dienst bei der ausbildenden Körperschaft wäre. So dürfte es sich vorliegend freilich nicht verhalten, denn der Dienst im Vikariat der Antragsgegnerin dient zunächst ausschließlich der Gewinnung von Pfarrern der Evangelischen Landeskirche.
Danach hat das Gericht keine Zweifel an der Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 Nr. 4 PfarrG, weshalb auch kein Anlass für ein Vorgehen nach § 9 Abs. 3 KVwGG besteht.
Nach allem vermag das Gericht nicht die Feststellung zu treffen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hätte oder jedenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spräche, dass eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag nur zu seinen Gunsten ausfallen könnte. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Ablehnung der Aufnahme des Antragstellers in den Vorbereitungsdienst durch Bescheid vom 23. März 2010 in einem solchen Grade rechtswidrig wäre, dass ein Festhalten an dieser Entscheidung unerträglich wäre.
( 2 ) Fehlt es aber bereits an einem zu prognostizierenden Erfolg des Wiederaufnahmeantrags, kann dahinstehen, ob im Falle eines Wiederaufgreifens der Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessenentscheidung über eine Ausnahme von der Altersgrenze nach § 4 Abs. 2 PfarrG nur durch die Entscheidung, den Antragsteller in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen, erfüllt werden könnte, wofür allerdings auch nichts spricht. Nur dann nämlich könnte - dies wurde oben bereits erläutert - der vorliegende Eilantrag auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst Erfolg haben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war deshalb mit der Kostenfolge aus § 89 Abs. 1 KVwGG abzulehnen.